Warum ein CO2-Preis nur der erste Schritt ist

8 weitere Maßnahmen für mehr Klimagerechtigkeit in Deutschland

 

Die Klimakrise trifft wirtschaftlich Benachteiligte am stärksten. Während große Öl- und Kohlekonzerne vom jetzigen Wirtschaftssystem profitieren, sind viele Bürgerinnen und Bürger in die Energieabhängigkeit gezwungen. Es ist deshalb so billig, eine Tonne CO2 in die Luft zu pusten, weil die sozialen und ökologischen Folgekosten wie häufigere Dürren, Starkregen und Hochwasser von der ganzen Gesellschaft getragen werden. 

 

Mit unseren Subventionen für fossile Energien finanzieren wir Ölmultis, die die Öffentlichkeit jahrzehntelang über die Realität der Erderhitzung getäuscht haben und für Umweltkatastrophen gigantischen Ausmaßes mitverantwortlich sind. Sechs der 30 schmutzigsten Kohlekraftwerke Europas stehen in Deutschland und belasten das Weltklima ebenso wie die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger. Von den Steuererleichterungen für schwere Dienstwagen profitieren auch große Firmen, während arme Menschen unter den Abgasen oft besonders stark leiden, da sie tendenziell an den meist befahrenen Straßen und in Wohnbezirken mit wenigen Grünflächen leben. Menschen mit niedrigem Einkommen leben häufiger in Einflugschneisen von Flughäfen und werden deshalb stärker durch Fluglärm belastet. Einkommensschwache Mieterinnen und Mieter wohnen öfter in nicht-sanierten, schlecht gedämmten Wohnungen, was zu unerträglicher Hitze im Sommer und hohen Heizkosten im Winter führt. Was dem Klima schadet, schadet auch dem Menschen.

 

Trotz Dürresommer 2018 und neuen Temperaturrekorden im ersten Halbjahr 2019, den Fridays for Future-Streiks und einer Europawahl im Zeichen der Klimakrise, will die Bundesregierung bis September die Hände in den Schoß legen. Die Maßnahmen liegen längst auf dem Tisch, doch die CDU-, CSU- und SPD-geführten Ministerien im Bund zögern, zaudern und warten ab. Dabei führt klug ausgestalteter Klimaschutz auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Ein CO2-Preis, der über ein Energiegeld und die Senkung der Stromsteuer diejenigen Bürgerinnen und Bürger entlastet, die sich klimafreundlich verhalten, ist dabei eine wichtige Komponente. Es bedarf aber vieler weiterer Instrumente, um sozial gerechten Klimaschutz zu gestalten.

 

Ich präsentiere deshalb eine erste Liste von Maßnahmen in den Sektoren Energie, Verkehr und Gebäude, die das Klima schützen und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Dabei wird auch aufgezeigt, in welchen Gesetzen die Maßnahmen verankert werden müssen. Durch eine Umstellung unserer Mobilität, den Ausstieg aus der Kohleverstromung und die die umfassende Sanierung unseres Gebäudebestandes wollen wir die Transformation des bisherigen Wirtschaftens hin zu einer klimagerechten, klimafreundlichen und für alle Bürgerinnen und Bürger lebenswerteren Welt gestalten. Die Klimakrise ist nicht nur eine ökologische, sondern auch soziale Aufgabe. 

 

Energie: Woher unser Strom kommt

 

1) Energiewende wieder zurück in Bürgerhand

 

Gesetzliche Verankerung: Erneuerbare-Energien-Gesetz, Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, Energiewirtschaftsgesetz

 

Solar- und Windenergie sind heute billiger als Kohle- und Atomstrom – und die Kosten werden weiter sinken. Wir wollen 100 Prozent grünen Strom bis 2030 erreichen. Die Obergrenze von 52 Gigawatt für den Ausbau von Solarstromanlagen muss dafür gestrichen werden. Außerdem soll der Ausbau der Windenergie an Land und der Solarenergie mit einem Ausbaupfad von jährlich jeweils mindestens 5 Gigawatt netto beschleunigt werden. 

 

Hierbei ist die Bürgerenergie essentiell. Sie ist das Rückgrat der Energiewende und trägt maßgeblich zur Transformation zu einer demokratischen, erneuerbaren, sicheren und günstigen Energieversorgung bei. Leider wurde die Bürgerenergie in den letzten Jahren ausgebremst. Das muss sich ändern, damit Bürgerinnen und Bürger von den gefallenen Preisen der erneuerbaren Energien profitieren und einen direkten Beitrag zur Energiewende leisten können. Wir wollen für BetreiberInnen kleiner Solaranlagen unnötige Hürden abbauen, indem erst ab einer Stromerzeugung von 10 Megawattstunden für Haushalte und 500 Megawattstunden für juristische Personen die Pflichten eines Energie- und Elektrizitätsversorgungsunternehmens erfüllt werden müssen. Die Bundesregierung muss zudem endlich die Möglichkeit nutzen, kleine Windprojekte aus dem komplizierten Ausschreibungsverfahren zu entfernen.

 

2) Kohleausstieg bis 2030 beschließen, Hambacher Wald und Dörfer im Rheinland und der Lausitz erhalten

 

Gesetzliche Verankerung: Kohleausstiegsgesetz

 

Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben, die in einem riesigen Tagebauloch verschwindet. Über 100.000 Personen sind allein im Rheinischen Braunkohlerevier schon umgesiedelt worden. Diese unsoziale Art der Energieerzeugung kann niemals ein Beitrag für unsere Energiesicherheit oder das Gemeinwohl sein. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission hat einen Plan für den Ausstieg aus der Kohle vorgelegt. Das von der Kommission in Aussicht gestellte Enddatum 2038 kommt jedoch zu spät. Nach heutigem Stand müssten die Kohlekraftwerke bereits bis 2030 vom Netz gehen, um die Klimaziele noch zu erreichen, das gilt insbesondere die schmutzigsten Kraftwerke. Die Bundesregierung muss sich mit den BetreiberInnen der Kraftwerke schnellstmöglich auf umfangreiche Abschaltungen bis Ende 2022 einigen. Die Tatsache, dass sich selbst RWE jüngst offen für einen früheren Kohleausstieg zeigte, macht deutlich, dass der Betrieb der Kraftwerke nicht mehr lohnt. Deshalb muss die Bundesregierung die Entschädigungszahlungen an die KraftwerkbetreiberInnen so gering wie möglich halten. Falls sich die BetreiberInnen weigern, greift das Ordnungsrecht. Nur mit einem raschen Einstieg in den Ausstieg können der Hambacher Wald und die von Rodung bedrohten Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich und Berverath im Rheinland sowie Proschim, Lindenfeld und Welzow in der Lausitz erhalten bleiben. Damit bewahren wir die Heimat der dort lebenden Menschen und schaffen durch den beschleunigten Strukturwandel neue Perspektiven für die Zeit nach der Kohle.

 

3) Mieterstrom-Revolution beginnen

 

Gesetzliche Verankerung: Mieterstromgesetz

 

Unsere Dächer sind wie gemacht für Solarstromerzeugung. Das hilft Mieterinnen und Mietern, sich mit selbst produziertem Strom günstig, dezentral und unabhängig von den großen Energiekonzernen zu versorgen. Mieterstromprojekte sollen deshalb oberste Priorität für Städte werden. Die aktuelle Politik der Bundesregierung ist stattdessen mieterstromfeindlich. Daher müssen die gesetzlichen Regelungen zum Mieterstrom für Solarstrom überarbeitet und die Obergrenze von 100 Kilowatt installierter Leistung pro Projekt bei Mieterstromanlagen aufgehoben werden. Steuerliche Hemmnisse für Mieterstrom im Gewerbesteuerrecht und im Körperschaftssteuerrecht für Wohnungsbaugesellschaften gehören abgeschafft. Der jährliche Mieterstromdeckel von 500 Megawatt maximalem Neubau von Solarstromanlagen muss weg. 

 

Verkehr: Wie wir uns fortbewegen

 

4) Rad- und Fußwege, Bus und Bahn vorrangig ausbauen

 

Gesetzliche Verankerung: Straßenverkehrsrecht, Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz

 

Wir alle sollten unabhängig vom Einkommen mobil sein können. Bus und Bahn, Rad- und Fußverkehr müssen dafür bei den Straßenverkehrsregeln wie der StVO, aber auch bei Planung und Finanzierung bevorzugt werden. Die derzeitigen Regelungen verhindern das. Deshalb braucht es eine umfassende Überarbeitung des Straßenverkehrsrechts. Auch bei der Entwicklung der Infrastruktur benötigen wir den sofortigen Einstieg in eine Verkehrswende, dazu muss auch der Einsatz von Personal und Finanzen massiv angepasst werden. So gelingt es, zukünftig umwelt-, klima- und gesundheitsfreundliche Verkehrsmittel besser zu fördern.

 

5) Deutschlandtakt bundesweit einführen und Investitionen in den Neu- und Ausbau des Schienennetzes massiv erhöhen 

 

Gesetzliche Verankerung: Bundesschienenwegeausbaugesetz und Bundeshaushalt

 

Das Rückgrat der Verkehrswende ist eine moderne, leistungsfähige Bahn. Unser Ziel muss es sein, in Deutschland ein Angebot zu gewährleisten, mit dem wir alle per Bahn jede Region des Landes zuverlässig, bequem und preiswert erreichen können. Deshalb fordern wir die Einführung eines bundesweiten Deutschland-Taktes, der für Fahrgäste kurze Fahrzeiten, günstige Umsteigebeziehungen in Bahnhöfen und einen dichten, leicht merkbaren Takt bringt. Dafür muss beim Bundesverkehrsministerium eine zentrale Instanz zur Planung des Deutschland-Takts geschaffen werden. 

 

Darüber hinaus fordern wir eine Investitionsoffensive bei der Bahn, damit Investitionen in den Neu- und Ausbau des Netzes massiv angehoben und auf hohem Niveau verstetigt werden. Beim Ausbau des Schienennetzes berücksichtigen wir die Belange des Schienengüterverkehrs, damit bis 2030 deutlich mehr Verkehr von Straße auf die Schiene verlagert werden kann. Dazu müssen die Bundesmittel für den Neu- und Ausbau des Schienennetzes auf zunächst 2,5 Milliarden Euro jährlich und bis 2023 auf mindestens drei Milliarden Euro angehoben werden. So schaffen wir die Grundlagen, damit die Verkehrsleistung im Personenverkehr auf der Schiene bis 2030 verdoppelt werden sowie der Marktanteil im Schienengüterverkehr bis dahin auf 30 Prozent anwachsen kann. 

 

6) Klimaschädliche Dienstwagen höher besteuern

 

Gesetzliche Verankerung: Einkommensteuergesetz

 

Durch die Subventionierung schwerer Dienstwagen, die besonders viel klimaschädliches CO2 ausstoßen, entgehen dem Bundeshaushalt jedes Jahr 800 Millionen Euro. Statt dieser klimafeindlichen und sozial ungerechten Subventionierung wollen wir, dass steuerliche Anreize für den Umstieg auf alternative, ökologische Verkehrsmittel wie Fahrrad, Bus und Bahn, oder zumindest die Nutzung abgasarmer Autos, weiter ausgebaut werden. Wir fordern deshalb, im Einkommensteuergesetz die Besteuerung von Dienstwagen an den CO2-Ausstoß des Fahrzeugs zu koppeln. Darüber hinaus bedarf es einer nutzungsbezogenen Komponente, welche die Besteuerung an der Fahrleistung oder dem Kraftstoffverbrauch ausrichtet. 

 

Gebäude: Wie wir wohnen

 

7) Klimawohngeld für Haushalte mit kleinen Einkommen einführen

 

Gesetzliche Verankerung: Bundeshaushalt

 

57 Prozent der Deutschen wohnen zur Miete. Auch Menschen mit kleinem Geldbeutel sollen es sich leisten können, in energetisch saniertem Wohnraum zu leben. Hierfür wollen wir eine Klimakomponente im Wohngeld einführen. 

 

8) Energetische Sanierung sozial gerecht ausgestalten

 

Gesetzliche Verankerung: Bürgerliches Gesetzbuch

 

Mieterinnen und Mieter erhalten bei Modernisierungen immer öfter überzogene Mieterhöhungen. Wir wollen die Balance zwischen Investition und Bezahlbarkeit wieder herstellen. So sollen VermieterInnen nur noch sechs Prozent der Kosten für energetische Modernisierung, Barriereabbau und Einbruchschutz auf die Jahresmiete umlegen können. Zusätzlich ziehen wir eine zweite Grenze ein: Diese sieht vor, dass die Miete nur noch um zwei Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren steigen darf.

 

Diese sektorspezifischen Maßnahmen müssen durch übergreifende Reformen flankiert werden. Dazu gehören neben dem CO2-Preis ein Klimaschutzgesetz, eine Initiative für Divestment und Grüne Finanzwirtschaft, der Abbau aller umwelt- und klimaschädlichen Subventionen sowie Forschungsförderung zum Bereich Klimawandel und Gesundheit, in der unterschiedliche Risikogruppen gesondert betrachtet werden. Klimabedingte Gesundheitsrisiken, insbesondere für vulnerable Bevölkerungsgruppen, wie ältere oder bereits erkrankte Menschen, müssen stärker in den Blick genommen und die Bevölkerung frühzeitig durch entsprechende Warnsysteme aufgeklärt werden.