Das Totenglöckchen der Energiewende

Frankfurter Rundschau

 

Gastbeitrag von Lisa Badum und Reiner Priggen

NRW will den Bau von Windkraftanlagen erschweren. Bayern hat mit dieser Regel die Wende im Energiebereich praktisch gestoppt.

 

Wir können es noch schaffen, aber nur wenn die Weltwirtschaft sich revolutioniert. Und nur mit einem kompletten Kohleausstieg. Der Sonderbericht des Klimarats der Vereinten Nationen zum Stopp der Erderhitzung war eindeutig. Währenddessen protestieren nicht nur Zehntausende im Hambacher Wald, es blockierten 6000 den Kohleabbau im Tagebau Hambach. Und was macht der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)? Er holt einen Vorschlag aus der energiepolitischen Mottenkiste, der zeigt, dass er in der Klimakrise nichts verstanden hat.

Worum geht es? Das Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) hat einen Antrag in den Bundesrat eingebracht. Ziel: Den Bundesländern soll über eine Länderöffnungsklausel ermöglicht werden, die bisher bundeseinheitlich geregelte Privilegierung der Windenergie im Außenbereich zu beenden.

Die Privilegierung im Baurecht wurde sinnvollerweise eingeführt, damit klimafreundliche Windanlagen überhaupt eine Chance haben, errichtet zu werden, und nicht baurechtlich wie allgemeine Hochbauten behandelt werden. Die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf plant dann eine Regelung zu erlassen, die ganze 1500 Meter Abstand zu allgemeinen Wohngebieten festschreibt. Brandenburg will die Privilegierung sogar ganz abschaffen. Der absehbare Effekt: der größte Teil der vorhandenen Flächen für die Windenergie entfällt.

 

NRW und Brandenburg läuten das Totenglöckchen der Energiewende, und das obwohl laut einer KfW-Studie 90 Prozent der Deutschen die Energiewende wollen und laut dem ARD-Deutschlandtrend 74 Prozent der Deutschen mehr Engagement des Bundes für den Klimaschutz fordern. Wer jetzt den Ausbau der Erneuerbaren torpediert, stellt sich auch gegen den Kohleausstieg.

 

Wohin dieser Irrweg führt, sieht man in Bayern. Dort gilt bereits seit 2014 mit der so genannten 10-H-Regel eine willkürliche Abstandsregelung, die einen je 10-fachen Abstand zu Wohngebieten im Verhältnis zur Höhe des jeweiligen Windrads vorsieht. In Zeiten von modernen Windrädern in Höhe von 200 Metern also ein Abstand von zwei Kilomentern zur nächsten Bebauung. Die Landesflächen, die da noch übrig bleiben, reduzieren sich auf mickrige 0,05 Prozent der Fläche des Freistaates. Der notwendige Ausbau der Windkraft ist danach nicht nur eingebrochen, sondern mit nur sieben neu genehmigten Anlagen in 2017 und nur fünf neu genehmigten im ersten Halbjahr 2018 de facto tot.

 

Dies alles wurde kaschiert mit einer angeblich besonderen Bürgernähe und hoher kommunaler Entscheidungskompetenz. In der Theorie ist es so: Gemeinden können von 10-H abweichen, wenn sie einen entsprechenden Bauleitplan beschließen.

 

Die wenigen Gemeinden, die sich auf diesen Weg begeben und erfolgreich sind, kann man an einer Hand abzählen. Und mit Bürgernähe ist es auch nicht weit her: Bald muss Bayern 40 Prozent Atomstrom ersetzen. Wenn dieser vollständig importiert wird, haben die Menschen keinen Einfluss mehr darauf, unter welchen Umweltfolgen, Ewigkeitskosten und Besitzverhältnissen dieser woanders produziert wird. Siehe Hambacher Wald. Siehe Gorleben. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

 

Der Weg von NRW bedroht allein dort 20 000 Arbeitsplätze. Bundesweit droht der Verlust von mehr als 133 000 direkten oder indirekten Jobs. Das sind die Arbeitsplätze der Zukunft. Dass im Vergleich dazu der Klimakiller Braunkohle keine Branche von morgen ist, wissen auch dessen größte Befürworter und Lobbyisten bei RWE, IGBCE und in den Staatskanzleien.

 

Deswegen sollten sie, anstatt eine klimasichere Branche zu zerstören, sich lieber daran machen, den anstehenden Kohleausstieg sozialverträglich und vorausschauend zu planen. Der Bericht des Weltklimarates ist klar: Ab zwei Grad Erhitzung drohen unkontrollierbare Kipppunkte wie das Auftauen der Permafrostböden und Zusammenbrechen der Regenwälder.

Umsteuern bedeutet Kohleausstieg. Wir müssen als weltgrößter Braunkohleverstromer unseren Beitrag leisten und die dreckigsten Kraftwerke abschalten. Kohleabbauländer wie NRW und Brandenburg können Träger des Wandels sein, für einen Kohleausstieg und Energiewende im sozialen Frieden. Oder Getriebene der Entwicklung und Ewiggestrige nach bayerischem Vorbild.

 

 

Lisa Badum  ist Grünen-Bundestagsabgeordnete Sprecherin für Klimapolitik.

 

Reiner Priggen ist Vorstandsvorsitzender von Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen und  Mitglied der Kohlekommission.