Mein Abschied von „Gone with the wind“

Zum bevorstehenden Jahreswechsel mal etwas außerhalb jeder Kategorie: Dieser Abschied sollte eigentlich viel früher stattfinden. Es geht auch nicht darum ein Buch mehr oder weniger zu mögen. Sondern ich sehe das Ganze als Parabel darauf, dass man auch lang gehegte Lieben noch verlieren kann. (Glücklicherweise!) Und als Erweiterung meines weißen Mittelschichtfeminismus. Dabei war das eigentlich gar nicht der Ausgangspunkt. Sondern ein Gespräch über Reisen in den USA mit einer nunmehr fast habilitierten Amerikanistin.

 

Der romantische Bible-Belt

 

Ich trug ihr mit Pathos triefend meine bevorzugten Reiseziele im „Bible Belt“ vor: Atlanta natürlich und die prächtigen Herrenhäuser und überhaupt. Sie dagegen hob vor allem den immer noch überall spürbaren Rassismus im Süden hervor. Ich fragte sie, ob es denn überhaupt opportun sei, Herrenhäuser anzuschauen. Sie seien schließlich von SklavInnen errichtet worden. Im selben Atemzug dachte ich mir: Aber was kann man nach diesen Maßstäben überhaupt noch anschauen??! Die ägyptischen Pyramiden und der Parthenon fallen dann sicherlich auch weg. Aber warum war ich überhaupt so scharf darauf, Herrenhäuser anzuschauen? Schon allein der Name löst doch Brechreiz aus. Und was wollte ich mir damit beweisen? Dass ich ein Fan von auf Blut und Schweiß gebautem dekadentem Lebensstil bin?

 

Die starke Scarlett und der alte Süden

 

Mit 16 hatte ich zum ersten Mal „Vom Winde verweht“ gelesen. Sofort war meine romantische Seele entbrannt. Da war Scarlett, die Frau die sich gegen die Konventionen ihrer Zeit auflehnte. Da war Rhett, der mit seinem Seefahrerblut so gar nicht in feine Charlestoner Gesellschaft passte. Die Autorin, Margaret Mitchell war von ihrer Mutter schon zu feministischen Veranstaltungen mitgenommen worden. Und dann diese ganze schneidige Südstaatenromantik. Diese „versunkene“ Welt, deren Versinken einen irgendwie mitnahm. ‚Das griechische Ebenmaß‘, deren Verschwinden Ashley beklagte. Aber was war eigentlich das Positive an der versunkenen Welt? Die Verbundenheit zur griechischen Antike?

 

Die SklavenhalterInnengesellschaft

 

Auf einmal fällt es einem wie Schuppen von den Augen, wie stark diese Verbindung war. Die Damen und Herren SklavenhalterInnen bauten sich nicht nur schöne griechische Säulen, nein sie lebten doch auch das propagierte müßiggängerische Leben, da die notwendigen Arbeiten von Anderen erledigt wurden. Klar wußte ich, dass die Sache mit den SklavInnen nicht politisch korrekt war. Mit diesem kritischen Zusatz versehen, hielt ich trotzdem weiter an der herrlichen Geschichte fest. Aber eigentlich kann es da gar keine Trennung geben.

 

Mammy braucht keinen Nachnamen

 

Scarlett ist nämlich gar nicht denkbar, ohne ihre gütige „Mammy“, die sich eher die Hand abhacken lassen würde, als ihre weiße Herrin nicht zu beschützen. Natürlich hat Mammy keine eigene Familie. Sie spricht immer mit seltsam abgehackten Wörtern, und einen Nachnamen braucht sie auch nicht. Und SklavInnen auf Tara werden nicht ausgepeitscht! Sie sind doch wie Kinder und man muss sie deswegen mit weicher Hand erziehen und behandeln. Einige sind auch dumm wie Prissy, Scarletts Kindermädchen, und brauchen daher ab und zu ein paar Ohrfeigen. Selbstverständlich machen sich die guten SklavInnen nach der Befreiung nicht ’selbstständig‘, sondern bleiben bei ihren alten Herrn und Damen. Und die ‚frei lebenden‘ Sklaven haben auch nichts Besseres zu tun, als weiße Frauen zu vergewaltigen. Dafür müssen sie dann vom Ku-Klux-Klan gehängt werden. Weiße Männer, die schwarze Frauen vergewaltigen, existieren nicht.

 

Binsenweisheit über Rassismus

 

Und dieses Machwerk übelsten Rassismus wurde und wird jahrzehntelang gefeiert und vergöttert. Wir wissen ja alle dass es rassistisch ist, aber wenn wir weiß sind, können wir eben darüber hinwegsehen und an schöne rauschende Reifröcke denken.

Ich spreche jetzt nichts Neues aus, eine Binsenweisheit. Noch dazu über ein uraltes Buch, das in unserer Zeit keine großartige Rolle mehr spielt. Aber wie gesagt: Es geht hier nicht nur um das Buch. Und jede Binsenweisheit muss leider von Jeder immer wieder neu entdeckt und aus dem Unterbewusstsein hervorgeholt werden.

Eines Morgens wachte ich auf, und bemerkte, dass ich glücklicherweise nicht mehr mit demselben Enthusiasmus von der Peachtree Street in Atlanta und dem grob verputzten Tara eingenommen war.