Am 7. November durfte ich bei der Mahnwache zum Angriff auf Israel vom 7. Oktober sprechen. Ich habe die Bühne vor am Brandenburger Tor genutzt, um von meiner bewegenden Reise zum Ort des Angriffes zu berichten.
Liebe Freundinnen und Freunde Israels, Shalom,
letzte Woche war ich in Israel. Einem Land im Krieg. Einem Land, das tief verwundet ist. Und das Schlimme ist, einem Land, das der Welt trotzdem noch beweisen muss, dass es verwundet ist.
Die erste Person, die wir getroffen haben, war ein junger Mann am Flughafen. Er hat einen sehr guten Freund beim „Super Nova“ Musikfestival verloren. Er hat zu uns gesagt – und das zog sich durch alle Gespräche: Das Schlimmste ist, dass uns die Welt nicht glaubt, was uns widerfahren ist. Oder vielleicht glaubt, aber nicht mitfühlt.
Ich finde das so unglaublich beschämend und traurig. Aber weil es (traurigerweise) so ist, seid ihr hier und war ich zusammen mit Abgeordneten aus anderen europäischen Ländern, aus Schweden, Österreich, Polen, Zypern, Litauen in Israel, damit wir als Zeugen berichten können, was wir gesehen haben. Und auch Max Lucks und Johannes Wagner, die auch für die Grüne Fraktion bereits dort waren.
Wir waren im Kibbutz Kfar Azza, – früher ein kleines Paradies. Das konnten wir noch sehen; sehr grün, Häuser mit schönen Terrassen, es gab kleinere Appartements von Studierenden, viele. Davon ist nichts mehr übrig. Die Häuser sind verwüstet, viele mit Einschusslöchern, wir haben Räume gesehen, in denen sich Menschen versteckt haben, mit einem komplett blutverschmierten Boden. Die Spielgeräte der Kinder sind verwaist. Gerade in diesem Kibbutz geht man davon aus, dass von den 100 Ermordeten 40 Kinder und Säuglinge waren. Dass gezielt versucht wurde, so viele wie möglich zu töten, mit gezielten Angriffen auf Grundschulen und ein Jugendzentrum.
Einige Überlebende aus dem Kibbutz konnten wir später treffen. Sie sind mittlerweile evakuiert und leben jetzt in der Nähe von Tel Aviv, im Kibbutz Shefayhim.
Ich möchte Euch von 2 Menschen erzählen:
Doron. Er und seine Frau standen kurz vor der Rente, als sie ermordet wurde. Sie hatten gerade ein Haus auf einer griechischen Insel gekauft. Er war der Einzige in der Runde, der trotz allem an die Zukunft denken konnte, dass es irgendwie weitergehen wird. Er wird dieses Haus weiter einrichten.
Helli, eine junge Frau mit 2 kleinen Kindern und langen schwarzen Locken hat es anders gesehen. Für sie ist alles dunkel. Ihr Mann Aviv wurde ermordet. Am 7. Oktober war ihr erster Gedanke: Ich bin hier nicht sicher! Ich muss dieses Land verlassen!“ Aber dann wurde ihr klar: Ich bin als Jüdin nirgendwo auf der Welt wirklich sicher.
Einige waren entsetzt von den Demonstrationen für „Free Palestine from the river to the sea“, sie waren schockiert über die Bilder aus Europa. Es hat mich beschämt.
Einige, das sag ich Euch ganz ehrlich, wollen auch nicht wissen, was in der Welt passiert oder über die Zeit hinausdenken, denn das Einzige, was sie interessiert, ist ob sie ihre Angehörigen zurückbekommen, die seit einem Monat in Geiselhaft gehalten werden. Und sie haben keinerlei Lebenszeichen von ihnen. Und es wird ja auch heute jemand sprechen. Und das hat mir das Herz gebrochen, wie wir gemeinsam ratlos und wie wir gemeinsam ohnmächtig waren.
Ich kann es, gerade als Frau, nicht verstehen, wie viele zu diesen Gräueltaten schweigen. Es war Ziel der Terroristen, Frauen zu vergewaltigen und zu töten. Die ersten Verhöre der Terroristen, die in Haft sind, zeigen genau das. Sie sagen da ganz deutlich: Wir hatten Anweisungen, auch noch tote Frauen zu schänden.
Mich hat auf der Shura-Militärbasis eine Freiwillige namens Sheri beeindruckt, die dort hilft, tote Frauen für ihre Beerdigung vorzubereiten. Es sind noch 300 Frauen, die bisher nicht identifiziert werden konnten. Es wurde ganz gezielt versucht, diesen Menschen auch im Tod noch ihre Würde zu nehmen. Körperteile wurden abgeschnitten. Es wurde Frauen mehrfach in den Kopf geschossen, auch als sie schon tot waren. So dass sie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt sind.
Was mich aber berührt hat und was mir persönlich Hoffnung gibt, sind die Zärtlichkeit und die Worte, mit denen sie gesprochen hat. Wie sie, trotz allem, versuchen, die Würde dieser Toten zu wahren. Sie sanft zu waschen, für das Begräbnisritual vorzubereiten. Wie sie Augen für kleine Details hat, wie schön manikürte Fingernagel. Sie hat gesagt: Das waren alles Frauen in der Blüte ihres Lebens.
Ich habe diese Freiwillige bewundert, wie sie in dieser totalen Finsternis versucht, ein Licht zu sein.
Ich glaube, das ist die Aufgabe, um die es geht: Für das Leben einzustehen.
Ich möchte noch jemanden zitieren, den ich in Israel getroffen habe:
Wir werden nicht wieder Opfer sein.
Vielen Dank.