Offener Brief an Netto: Echte Wertschätzung statt Mini-Bonus

Sehr geehrter Herr Karl, sehr geehrter Herr Kordmann, sehr geehrter Herr Leitl, sehr geehrter Herr Schnellinger,


der Nahrungsmittel-Einzelhandel leistet trotz schwieriger Rahmenbedingungen einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit in der aktuellen Pandemie. Das war und ist durch die besonderen Anstrengungen der Beschäftigten im Einzelhandel, darunter überwiegend Frauen, möglich. Deshalb haben die „systemrelevanten“ Berufe im Nahrungsmittel-Einzelhandel aus unserer Sicht eine hohe gesellschaftliche wie auch finanzielle Anerkennung mehr als verdient. Deshalb müssen die Arbeitgeber ihrer Verantwortung auch dadurch gerecht werden, dass sie alle ihre Beschäftigten, inklusive der geringfügig Beschäftigten, tariflich bezahlen und korrekt in die jeweils vorgesehene Lohngruppe eingruppieren. Das erwarten wir auch von Netto.

Ein zusätzlicher „Corona-Bonus“ kann die tarifliche Bezahlung nicht ersetzen, aber hat sich aus unserer Sicht in vielen Unternehmen in Zeiten von Corona als Symbol der Wertschätzung für die Beschäftigten bewährt. Vor diesem Hintergrund stimmen uns diverse Medienberichte besorgt. So berichtete Frontal 21 (18.06.2019), dass Mitarbeitende mit mehrjähriger Betriebszugehörigkeit in eine zu niedrige tarifliche Entgeltgruppe eingestuft werden. Der Mitteldeutsche Rundfunk bemängelt mit Berufung auf einen ihm vorliegenden Arbeitsvertrag, dass geringfügig Beschäftigte nicht tariflich, sondern mit Mindestlohn bezahlt werden (mdr aktuell vom 28.04.2020). rbb 24 berichtete am 06.05.2020, dass Netto gerademal einen Einkaufsrabatt von 20 Prozent bei Einkäufen als Zeichen der Wertschätzung gewährt.

Das irritiert uns. Die Sendung „Fakt“ berichtete ebenfalls in diesem Jahr, dass verlängerte Öffnungszeiten bei Netto ohne zusätzliches Stundenbudget für die Beschäftigten umgesetzt wurde. So entstehen Arbeitsverdichtung und unbezahlte Mehrarbeit. Aus unserer Sicht muss jegliche Arbeitszeit korrekt erfasst und bezahlt werden. Außerdem muss gerade während der Pandemie der Gesundheitsschutz der Beschäftigten im Mittelpunkt stehen. Sie brauchen vor allem ausreichend Erholungszeiten, denn das Risiko, dass sie sich während der Arbeit infizieren, ist groß. Wir hoffen sehr, dass Sie zu all diesen Themen gemeinsam mit den Betriebsräten und der zuständigen Gewerkschaft gute Lösungen finden. Denn viele Betriebe haben bereits bewiesen, dass sich auch große Herausforderungen am besten zusammen mit den Beschäftigten meistern lassen.

Mit freundlichen Grüßen
Beate Müller Gemmeke, Lisa Badum und Ulle Schauws


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