Das Corona-Virus zeigt: Prostitution ist nicht systemrelevant

Die unfreiwillige Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes

von Lisa Badum und Leni Breymaier (MdB der SPD Fraktion)


Mit den Beschränkungen des öffentlichen Lebens wurde auch die Prostitution in Deutschland beschränkt. Prostitutionsveranstaltungen, Prostitutionsvermittlung, das Betreiben von Prostitutionsfahrzeugen sind untersagt. Plötzlich ist der Betrieb von Prostitutionsstätten verboten oder gar, wie in Karlsruhe, Sexkauf untersagt. Aus Sicht von Virologie und Epidemiologie ist es in Zeiten, in denen wir alle eineinhalb bis zwei Meter Abstand voneinander halten müssen, undenkbar, in absehbarer Zeit Prostitution wieder zu gestatten. Der Gesellschaft entsteht kein Schaden dadurch, im Gegenteil. Das ist jetzt eigentlich ein Moment zum Innehalten. Wollen wir auch im Bereich Prostitution zum „normalen Leben“ nach Corona zurückkehren? Wir wollen das nicht. Um der Frauen willen, um der Freier willen und um das Umfeld der Freier willen, um der gesellschaftlichen Gesundheit willen. 

Und doch wird, so ein Ergebnis der Schaltkonferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin, es in die Entscheidung der Länder gegeben, Bordelle wieder zu öffnen. Während über die richtige Öffnung von Kitas diskutiert wird und sich keine Gruppen im Park zusammenfinden sollen, wird bei Prostitution, die per se gegen das Abstandsgebot verstößt, offensichtlich ein großes Auge zugedrückt. 

Das Prostituiertenschutzgesetz verhindert nicht massenhaften Menschenhandel


Das Prostituiertenschutzgesetz ist seit drei Jahren in Kraft. Es besagt, dass die Frauen nicht am Arbeitsplatz schlafen dürfen, eine andere nachgewiesene Bleibe brauchen, sich behördlich anmelden müssen, eine Krankenversicherung benötigen, Anspruch auf eine Gesundheitsberatung haben und darauf, dass Freier Kondome benutzen müssen. Das ist alles sehr unterstützenswert. Nur geht es leider an der Realität von vielen Prostituierten vorbei. Nur knapp 33.000 Prostituierte gehen offiziell angemeldet ihrer Tätigkeit nach. Insgesamt sind es aber, hier wird nur geschätzt, 200.000 bis 400.000  Frauen. Wer sind diese nicht angemeldeten Frauen? Fakt ist, in Deutschland, dem Zielland des europäischen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, ist das Fehlen von belastbaren Zahlen und die faktische Nichtkontrolle der Prostitutionsstätten sowie der Prostituierten auf Einhaltung des Gesetzes, ein skandalöses Versagen staatlicher Gewalt.

Wie können wir die Corona-Krise nutzen um die Frauen zu unterstützen?

Wie können wir die Corona-Atempause nun nutzen? Zum Einen zeigt sie uns wie unter einem Brennglas, wenn wir denn hinschauen wollen, wie es den Frauen geht. Denn was in diesen Wochen offenbar wird sind Frauen, die am Tag 150 bis 170 Euro für ein Bordellzimmer, die Geld an ihre Zuhälter und Schulden an die Menschenhändler bezahlen. Auch wenn sie gerade keine „Arbeit“ haben. Es wird offensichtlich, dass diese Frauen nicht die Profiteurinnen ihres Tuns sind. Es profitieren Immobilienbesitzer, Bordellbetreiber, Familien in den Heimatländern, Aufpasser.

Bordellbetreiber schicken ihre Security in Kurzarbeit, beantragen für sich Soforthilfen des Staates. Und die Frauen? Sind eben doch nicht angemeldet, haben keinen privaten Wohnraum, haben keine Krankenversicherung, sind doch nicht sozialversichert, nicht angestellt und nicht selbstständig. Sie sind nicht da. Aber sie sind existent wie wir Alle. Sie sind Menschen, die ein Dach über dem Kopf brauchen, die essen und trinken müssen, die ein Bedürfnis nach Hygiene haben. Doch sie konnten für sich keinerlei Rücklagen bilden. Es reicht nicht für das Ticket ins Heimatland. Sie haben keine Bleibe und kein Geld. Sie dürfen jetzt doch ausnahmsweise im Bordell in den Zimmern schlafen. Machen wir uns nichts vor: In aller Regel werden sie diese Freundlichkeit anschließend wieder abarbeiten müssen. 

Wir brauchen mehr Aussteigerprogramme – Hilfe zur Selbsthilfe

Zum Zweiten gibt uns die Corona-Atempause Möglichkeiten die Frauen zu unterstützen. Viele von ihnen wollen aus der Körper- und Seelen zerstörenden Arbeit aussteigen. Sie wollen und können andere Berufe ausüben.

Doch wer hilft? Es gibt kleinere Initiativen, die in Einzelfällen gute Ausstiegsarbeit machen. Aber das reicht nicht für Tausende. Die finanziell vom Staat gut ausgestatteten Beratungsstellen leisten unterschiedlich gute Arbeit, haben oft sehr enge Kontakte zu den Bordellbetreibern. Diese Beratungsstellen haben aber in aller Regel keinerlei Erfahrungen mit Ausstiegsunterstützung der oft schwer Traumatisierten, die meist der deutschen Sprache und der gesellschaftlichen Konventionen hier nicht im Ansatz mächtig sind. Wohnraum, Zugang zu den hiesigen Sozialsystemen, vor allem zu einer Krankenversicherung, Arbeit, Sprachkurse, Traumatherapien, Regeln, Schutz vor Menschenhändlern, selbst ernannten Eigentümern, Zuhältern, all das beinhaltet ein aufrichtiges und sinnvolles Ausstiegsprogramm. Und genau jetzt ist die Zeit ein solches aufzulegen. Wann, wenn nicht jetzt?

Darum brauchen wir jetzt bei den Kommunen angesiedelte Beratungsstellen, die Zugang zu Wohnraum haben. Bei der Bundesagentur für Arbeit braucht es speziell sensibilisierte Ansprechpersonen für die Beratungsstellen. Wir brauchen ein Paket, das Sprachkurse genauso beinhaltet, wie therapeutische Angebote. Und wir müssen, wie in Karlsruhe, den Kauf von so genannten sexuellen Dienstleistungen verbieten, dann verstößt im Zweifel der Freier gegen das Gesetz und nicht die Not leidende Frau. Und wenn die Frauen jetzt nach Hause wollen, dann sollten wir ihnen, für deren Ausbeutung wir mit unserer liberalen Gesetzgebung verantwortlich sind, ein Ticket in die Heimat bezahlen. Und rasend schnell braucht es bordellunabhängige Notübernachtungen und Zugang zum Gesundheitssystem.

Und dann sollten wir uns vor der Wiedereröffnung der Bordelle als Gesellschaft Gedanken machen, ob wir in Sachen Prostitution so weitermachen wollen wie seit knapp zwanzig Jahren.