Wie Europa die Führung beim Klimaschutz übernehmen kann

Gastbeitrag im Handelsblatt

Das EU-Klimapaket bringt endlich auf den Weg, was sich kein Land bislang getraut hat. Es buchstabiert in zwölf Gesetzesvorschlägen aus, was die großen Versprechen von Klimaneutralität und Dekarbonisierung bedeuten. Von der Reform des EU-Emissionshandels über den Ausbau erneuerbarer Energien, das Ende des Verbrennungsmotors bis hin zu einem CO2-Grenzsteuerausgleich liegen jetzt konkrete Vorschläge auf dem Tisch.

Klimakommissar Frans Timmermans sagte, das werde „verdammt hart“. Das stimmt, aber es wird auch verdammt gut. Richtig umgesetzt ist das Paket ein gigantischer Jobmotor und setzt Europa an die Spitze der klimaneutralen Weltwirtschaft. Und das Wichtigste: Es hilft, klimaschädliche Treibhausgase einzusparen und die Erderwärmung zu verlangsamen.

Der Weltklimarat hat beschrieben, welche lebensbedrohlichen Konsequenzen die Klimakrise für uns noch haben kann – und bereits hat: die Flutkatastrophe, die Brände am Mittelmeer, die Tropennächte der letzten Hitzewelle. Das alles passiert jetzt, bei einer im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um 1,2 Grad wärmeren Welt.

Wie weit werden wir die Erderwärmung verlangsamen, dass wir uns und unsere Lebensräume in einem erträglichen Maße daran anpassen können? Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, wie elementar Klimaschutz für die Freiheit dieser und zukünftiger Generationen ist.

Alles, was wir für die ökologische Transformation brauchen, gibt es schon. Wir wissen, wie sich aus Wind und Sonne Strom gewinnen lässt, dass grüner Wasserstoff die energieintensive Industrie versorgen kann und welche Autos und Heizungen ohne fossile Rohstoffe funktionieren.

Der soziale Ausgleich ist entscheidend für die Akzeptanz

Genau daran knüpft die Kommission mit dem Klimapaket an. Das Paket muss vier Vorgaben erfüllen, damit es zum Erfolg wird.

Erstens: Verbindlichkeit. Die Klimaziele müssen unbedingt erreicht werden. Das klingt einfach, aber die Vergangenheit zeigt, wie leichtfertig Klimaziele über Bord geworfen und von den Mitgliedstaaten eher als grobe Richtung anstatt als verbindliche Vorgabe verstanden werden. Darum ist es so entscheidend, dass alle Maßnahmen des Pakets konsequent auf das 2030-Klimaziel der EU von mindestens 55 Prozent Emissionseinsparungen im Vergleich zu 1990 ausgerichtet werden – und auch festgelegt wird, wie danach die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden soll.

Zweitens: sozialer Ausgleich. Klimaschutz geht nur sozial gerecht. Hier liefert das Paket mit dem vorgeschlagenen Klima-Sozialfonds noch nicht die nötigen Antworten für einen fairen Ausgleich. Europäische Verbraucherinnen und Verbraucher sollen schon ab 2026 die CO2-Kosten für Heizen und Benzin tragen. Wenn die Einnahmen aus der CO2-Steuer nicht gerecht zurückgegeben werden, verschärft das die soziale Schieflage in Europa und erzeugt Frust beim Klimaschutz.

Gleichzeitig sind auch die Mitgliedstaaten in der Verantwortung, das EU-Klimapaket sozial gerecht umzusetzen und besonders hart getroffene Einkommensgruppen aufzufangen.

Die Vorhaben müssen präzise aufeinander abgestimmt werden

Drittens: strategische Umsetzung. Viele Expertinnen und Experten sind überrascht, wie rasant der europäische Emissionshandel seine Wirkung entfaltet. Der steigende Preis verdrängt den Kohlestrom so schnell aus dem Energiemix, dass der europaweite Kohleausstieg 2030 nahezu sicher scheint. Das zeigt, wie schnell Dekarbonisierung, die Abkehr von fossilen Energieträgern, funktionieren kann, wenn wir die Weichen richtig stellen. Ordnungsrecht und marktwirtschaftliche Instrumente funktionieren am besten in Kombination. Ohne den vorherigen Ausbau erneuerbarer Energien könnte der europäische Emissionshandel nicht so wirkungsvoll sein, wie er es gerade ist, und ohne einen Preis auf CO2 hätten wir nicht die Lenkungswirkung, dass emissionsfreier Strom der günstigste und attraktivste ist.

Genau das ist der Knackpunkt: Die zwölf EU-Dossiers müssen nicht nur für sich funktionieren, sondern sehr präzise aufeinander abgestimmt werden. Die Dossiers bauen aufeinander auf, und wenn nur ein Gesetz stockt oder schlecht gemacht wird, gefährdet das den Erfolg des ganzen Pakets und damit auch das EU-Klimaziel. Das Paket zusammenzuhalten wird mit die schwierigste Aufgabe in den jahrelangen Verhandlungen sein.

Kommission, Parlament und Rat dürfen sich nicht von Lobbyinteressen auseinanderdividieren lassen. Schon vor der Veröffentlichung des Pakets wurde hinter den Kulissen dafür gesorgt, dass zum Beispiel die kostenlose Zuteilung der Emissionszertifikate für die Industrie deutlich länger fortgesetzt wird, als es die Kommission geplant hatte. Der europäische Emissionshandel wirkt aber nur dann richtig, wenn er die echten Kosten von Klimaverschmutzung abbildet und wertvolle Zertifikate nicht mehr kostenlos verteilt. Im Gegenzug bieten der CO2-Grenzsteuerausgleich und Differenzverträge für die Industrie Schutz vor Carbon Leakage, also dem Verlagern emissionsintensiver Produktion aufgrund zu strenger Klimaanforderungen ins Ausland.

Eine schnelle Umsetzung ist notwendig

Viertens: Tempo. Die kommenden Verhandlungen über das Klimapaket müssen schnell und ohne großen Verschiebebahnhof ablaufen. Das wird nicht einfach, denn die Begehrlichkeiten bei Wirtschaft und Industrie sind groß, und jedes Mitgliedsland hat seine eigenen Interessen, die es jetzt durchsetzen will.