Der Ablasshandel von CDU/CSU und SPD gefährdet den Klimaschutz

Spätestens 2045 soll Deutschland klimaneutral sein – darin sind sich alle demokratischen Bundestagsfraktionen einig. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es jedoch wirksame neue Maßnahmen, gerade im Verkehr und beim Heizen. Aber vor allem braucht es eine langfristige Strategie. Wenn Friedrich Merz sich von Angela Merkel abheben will, muss er der Politik der kleinen Schritte ein Ende bereiten und die Erreichung der Klimaneutralität zur Chefsache machen.

In ihrem Koalitionsvertrag schlagen CDU/CSU und SPD leider ganz andere Töne an: das Gebäudeenergiegesetz abschaffen, die Pendlerpauschale erhöhen, Flüge vergünstigen, am Ammersee und im Wattenmeer nach Gas bohren – all das soll nun plötzlich mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar sein?

Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen hat dieser Farce letzten Donnerstag ein jähes Ende bereitet. Die fünf „Klima-Weisen“ haben ausgerechnet, dass die neue Bundesregierung mit ihrem fossilen Fahrplan nicht nur unsere europäischen Verpflichtungen verletzen, sondern auch ihre eigenen Versprechen brechen wird. So wird das nichts mit der Klimaneutralität.

Dass wenigstens das 2030-Ziel erreichbar bleibt, haben wir der Ampel zu verdanken. Auf diesen grünen Lorbeeren darf sich die Kleine Koalition nicht ausruhen. Die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf hat es auf den Punkt gebracht: „Vom Koalitionsvertrag geht kein nennenswerter Impuls für die Zielerreichung im Jahr 2030 aus.“ Dafür ist das schwarz-rote Papier zu vage und unambitioniert.

Natürlich wissen das auch Union und SPD. Doch anstatt nachzubessern, wollen die Koalitionäre sich einfach von ihren Sünden freikaufen.

Tatsächlich erlaubt das Pariser Abkommen seit Neuestem den internationalen Handel sogenannter „Artikel 6 Credits“. In einer Art zwischenstaatlichem Ablasshandel bezahlt die Bundesregierung dabei andere Länder, damit diese in unserem Namen CO2 einsparen. Anstelle von Ablassbriefen erhält sie CO2-Zertifikate, doch auch dieser Vorgang ist – wie Martin Luther es einst formulierte – „ein lästerlicher Betrug“.

Das Problem ist nämlich, dass CO2-Zertifikate selten von echter Minderung gedeckt sind. Die Verlockung ist zu groß, kleine Einsparungen schönzurechnen und jedes Windrad oder Solarpanel in lukrative Credits zu verwandeln – selbst, wenn es auch ohne Ablasshandel aufgestellt worden wäre. Dem Klima ist damit aber nicht geholfen.

Tatsächlich hat diese Zahlenschieberei schon einmal die europäische Klimapolitik torpediert. Als der EU-Emissionshandel 2005 an den Start ging, sorgte eine Sintflut aus CO2-Zertifikaten (damals noch unter dem Kyoto-Protokoll) für Dumping-Preise und verhinderte jahrelang echte Einsparungen. Es zeichnet sich ab, dass es diesmal ähnlich laufen könnte: die erste Charge an Artikel-6-Credits war bereits um das 26-Fache aufgebläht.

Mein Kollege im Europäischen Parlament, Micha Bloss, hat den Artikel 6 kürzlich als Büchse der Pandora bezeichnet, die dafür sorgen könnte, dass Europa seine völkerrechtlichen Klimaschutz-Verpflichtungen einfach an Drittländer abwälzt, anstatt selbst weiter Emissionen zu senken und die europäische Wirtschaft nachhaltig umzubauen.

Denn jeder Euro, der in CO2-Zertifikate fließt, fehlt erstmal für den heimischen Klimaschutz. Doch irgendwann wollen wir aus eigener Kraft klimaneutral sein, also müssen wir das Geld letztendlich doppelt ausgeben. Genauso verhält es sich übrigens mit den EU-Zertifikaten, die wir bald brauchen werden, um unsere Zielverfehlung in den Sektoren Verkehr und Gebäude auszugleichen. Das ist Steuergeldverschwendung mit Ansage.

Das heißt natürlich nicht, dass sich die Bundesregierung vom internationalen Klimaschutz lossagen sollte ­– ganz im Gegenteil. Die Klimadiplomatie muss eine tragende Säule der deutschen Außenpolitik bleiben, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe. Das geht aber auch ganz ohne Ablasshandel. Und es muss immer zusätzlich zu heimischen Emissionsminderungen geschehen.Leider sind dubiose CO2-Zertifikate lange nicht die einzige Schwachstelle der schwarz-roten Klimapolitik (wenn man sie überhaupt so nennen darf). Ebenfalls im Koalitionsvertrag verewigt ist die Forderung nach CO2-Abscheidung an Gaskraftwerken. Das Problem? Auf der ganzen Welt existiert kein einziges CCS-Gaskraftwerk, denn dafür eignet sich diese unausgereifte Technologie besonders schlecht. Ganz zu schweigen von den vielen Schwierigkeiten und Gefahren bei der langfristigen Speicherung von CO2, oder dem Mangel an geeigneten Lagerstätten.

Dabei startet die Kleine Koalition unter besten Voraussetzungen: dank unserer Mithilfe steht ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen zur Verfügung, von dem mindestens ein Fünftel (aber gerne auch mehr) in den Klimaschutz fließen soll. Und mit dem Turbo-Ausbau der Erneuerbaren, der grünen Heizungsförderung und dem Deutschlandticket erbt Schwarz-Rot gleich mehrere wirksame Maßnahmen, die man einfach nur weiterführen und ausbauen müsste.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Erhalt unserer Lebensgrundlagen die Aufgabe aller Parteien ist. An der Regierung sind nun aber CDU/CSU und SPD – und zwar weder zum ersten noch zum letzten Mal. Daher sollten die Regierungsparteien die Warnung des Expertenrats für Klimafragen ernstnehmen und sich eine langfristige Strategie überlegen, damit sie nicht jedes Jahr aufs Neue zittern und bangen müssen, wie die Projektion ausfällt. Ideen gibt es genug; man muss sie nur anpacken. Dann kann das noch was werden mit der Klimaneutralität bis 2045.