Positionspapier: Verkehrswende einleiten – klimafreundliche Mobilität gestalten

 

Von Stephan Kühn, Dr. Ingrid Nestle, Lisa Badum, Oliver Krischer,
Stefan Gelbhaar, Matthias Gastel, Daniela Wagner, Markus Tressel

1. Die Zukunft der Mobilität zur Realität machen

In vielen Teilen Europas ist die Verkehrswende bereits Realität, aber nur selten in Deutschland. Wer in Kopenhagen Fahrrad fährt, kann sich die Staus und Abgase in anderen Städten kaum noch vorstellen. Mehr als 60 Prozent der Kopenhagener fahren jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zur Schule. Kein Wunder, denn auf 1.000 Kilometern Radwegen, darunter 200 Kilometer Radschnellwege, kommt man in der dänischen Hauptstadt schnell und sicher zum Ziel.

 

Die finnische Hauptstadt Helsinki hat die öffentliche Mobilität durch Digitalisierung radikal vereinfacht: Über eine einzige App ist es möglich, einfach und bequem alle öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen – egal ob Busse oder Straßenbahnen, Leihräder oder Carsharing, Mietwagen oder Taxis. Oslo ist Welthauptstadt der Elektromobilität. Bereits mehr als die Hälfte der neu zugelassenen Autos hat einen Elektromotor. Die Busflotte und Taxis werden elektrifiziert. Bis 2030 will Norwegens Hauptstadt klimaneutral werden.

 

Die Schiene ist das Rückgrat des Verkehrssystems in der Schweiz. Auf einem dichten und elektrifizierten Netz fahren Züge im engen Takt. Die Anschlüsse funktionieren, Bus und Bahn ergänzen sich gut. Auch in ländlichen Regionen kommt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln zuverlässig von A nach B.

 

Wir Grüne wollen von diesen Vorzeigeprojekten lernen und ähnliche Erfolgsgeschichten in Deutschland schreiben. Deshalb zeichnen wir im Folgenden ein Bild davon, wie klimafreundliche und praktische Mobilität aussehen könnte. Danach schlagen wir drei „Game-Changer“ als große Hebel vor, damit diese Vision Wirklichkeit wird. Im Mittelpunkt unserer Vision und unserer Vorschläge stehen die Menschen und ihr Recht auf Mobilität, Teilhabe und Klimaschutz.

 

2. Vision: Mobilität im Jahr 2030

Dank kluger und mutiger Entscheidungen ist es gelungen, dass auch im Verkehr die Klimaschutzziele eingehalten werden. Im Jahr 2030 werden hier weit mehr als 40 Prozent der Kohlendioxidemissionen eingespart, die noch im Jahr 1990 entstanden sind. Auch im Luftverkehr sinkt der Ausstoß endlich. Statt schmutzigem Sprit kommt Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz.

Und nicht nur das: Die Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Verkehr sorgen für eine bessere Lebensqualität. Leute leiden weniger unter Lärm, der Verkehr wird sicherer. Außerdem entstehen weiterhin neue Jobs, zusätzliche Mobilitätsangebote und bezahlbare Alternativen zum eigenen Auto.

 

Der ländliche Raum ist zum Gewinner der Verkehrswende geworden. Jede Region ist zuverlässig, preiswert und letztlich klimafreundlich zu erreichen. Mindestens ein stündlicher Bus- oder Bahntakt zwischen den Mittelzentren und flexible Angebote bis zur Haustür, z.B. mit neuen Mobilitätsdiensten, Rufbussen oder ausleihbaren Fahrzeugen, sorgen auch dort für ein vielfältiges Mobilitätsangebot, wo früher ohne eigenes Auto nichts lief. Dadurch sind beispielsweise auch Jugendliche und ältere Menschen ohne Auto auf dem Land wieder selbstbestimmt unterwegs. Seitdem viele Bahnstrecken reaktiviert und elektrifiziert wurden, fährt die Bahn wieder viel öfter und weiter in den ländlichen Raum hinein.
Das Radfahren auf dem Land ist dank breiter und gut sanierter Radwege, mehr Fahrradstellplätzen an Bahnhöfen und mehr Mitnahmemöglichkeiten in Zügen deutlich einfacher und sicherer als früher. E-Bikes und Räder sind auf dem Land als Zubringer zur nächsten Mobilitätsstation oder für überschaubare Strecken attraktiv. Verbleibende Autofahrten sind bequem und umweltfreundlich mit effizienten E-Autos zu meistern. Hierfür steht die notwendige Ladeinfrastruktur zur Verfügung. Autos können leicht mit der Nachbarschaft geteilt oder bei Bedarf ausgeliehen werden. Das stellt sicher, dass die genutzten Autos nur so groß sind, wie sie für den jeweiligen Anlass benötigt werden.

Pendeln ist seltener und einfacher geworden. Neue gemeinschaftlich genutzte Büroräume sind zusätzliche Anknüpfungspunkte für kleine Läden und andere Dienstleistungen neben den Dorfkernen. Die Lebensqualität in den Dörfern ist deutlich gestiegen. Mehr Menschen wohnen wieder gerne auf dem Land. Der Mangel an Alternativen zum Auto war kein Pluspunkt für dörfliches Leben.

 

In den Städten fahren immer weniger Autos. Zahlreiche Kommunen haben praktisch autofreie Innenstädte und Quartiere. Da viele Menschen Autos mit anderen teilen und gar kein eigenes mehr besitzen, wird deutlich weniger Platz zum Parken benötigt. Stattdessen sind Bäume, Sitzgelegenheiten, Fahrrad- und Spielstraßen sowie Spielplätze angelegt, wo früher Stehzeuge parkten. Parks und Cafés steigern die Aufenthaltsqualität. Liefer- und Einsatzfahrzeuge sowie Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, kommen ohne die nervenraubenden Staus voran, weil in den Städten immer weniger andere Autos im Weg sind. Neuwagen sind mit grünem Strom elektrisch unterwegs und können auch nach Bedarf in der passenden Größe geliehen werden. Kleine und wendige Fahrzeuge erfreuen sich hoher Beliebtheit, da sie problemlos auch durch engere Straßen kommen, weniger Parkraum benötigen und daher eine höhere Akzeptanz bei Radfahrenden und FußgängerInnen genießen.

Das Rad ist zum schnellsten und beliebtesten Verkehrsmittel der Stadt geworden und beherrscht die Straßen. Über kurze Wege sind Verleihstationen für Transport- und Lastenräder zu erreichen. Sie prägen vielerorts das Stadtbild. Familienkutschen sind oft pedalbetrieben – statt in Blechlawinen können die Kinder an der frischen Luft und in einem an ihre Bedürfnisse angepassten Tempo den Tag beginnen. Später finden sie selbst leicht den Umstieg auf das eigene Rad und eine gesunde und unabhängige Mobilität. Ein sicheres, gut ausgebautes Radwegenetz und attraktive Fußwege sind zur Normalität geworden und ziehen sich durch die gesamte Stadt bis in die Außenbezirke und den Speckgürtel rund um die Städte. Räder und E-Scooter haben endlich genügend eigenen Raum. In der Verkehrsplanung hat ein Umdenken stattgefunden, so dass bei der Verteilung des öffentlichen Raumes von außen nach innen gedacht wird. Zuerst werden Fuß- und Radwege geplant, dann Busspuren und Schienenwege für die Tram und erst zum Schluss die Fahrspur für Autos. Mit einer neuen Kultur der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen allen VerkehrsteilnehmerInnen ist die Zahl verunglückter RadfahrerInnen und FußgängerInnen massiv zurückgegangen. Der öffentliche Nahverkehr fährt auf vielen Strecken schneller und günstiger als Autos.

 

Auch im Güterverkehr wurden die Weichen neu gestellt: Alle 50 bis 100 km bieten Güterzentren den Speditionen die Möglichkeit, Lkw-Ladungen auf Güterzüge umzuladen. Nach der verlässlichen und schnellen Reise zu einem anderen Güterzentrum mit reibungslosen Anschlüssen in den extra dafür ausgebauten Mobilitätsknoten der Bahn steht schon die Partnerspedition bereit, um mit ihrem Lkw die Ladung zu den KundInnen zu bringen. Dieser kombinierte Verkehr macht auf vielen Autobahnen Lkw zur Seltenheit. Diese fahren praktisch nur noch kurze Strecken und können so in vielen Fällen elektrisch unterwegs sein. Ausgefeilte Logistikkonzepte und der vermehrte Einsatz von Lastenrädern reduzieren die Zahl und die Größe der Lkw in den Städten.

Der innerdeutsche Flugverkehr bleibt seit der Umsetzung des Deutschlandtakts und zusätzlichen Bahnstrecken am Boden. Auch in viele Nachbarländer reist es sich bequem mit dem Zug oder Fernbus und aufeinander abgestimmten Fahrplänen. Dank der Nachtzüge, die mehr und mehr Zuspruch erhalten, wächst Europa auch mit weniger Flügen weiter zusammen. Eine moderne Unternehmenskultur und mehr Videokonferenzen machen so manche Flugreise überflüssig.

Die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Verkehr hat sich verdoppelt. Echtzeitinformation, eine dichte Taktung, moderne Fahrzeuge sowie mehr Sicherheit und Sauberkeit in Verkehrsmitteln und an Stationen sichern eine hohe Attraktivität. PendlerInnen kommen im Regional- und Nahverkehr entspannt zur Arbeit. Alle Nahverkehrsunternehmen bieten über Verkehrsverbünde hinweg einfach zu verstehende Tarife und günstige Tickets an. Mit einem Mobilpass können alle Tickets über eine App gebucht werden.

 

Der anhaltende Transformationsprozess der Automobilbranche und die Erschließung von neuen Technologien und Dienstleistungsbereichen garantieren auch heute das Qualitätslabel „Made in Germany“. Das ist maßgeblich auch ein Erfolg der gut qualifizierten und breit aufgestellten ArbeiterInnenschaft der Branche, welche den zukunftsweisenden Wandel geschultert und mitgestaltet haben.

 

3. Die drei großen Hebel für Klimaschutz im Verkehr

Diese Vision kann im Jahr 2030 Realität werden. Die genannten Beispiele zeigen: Bereits heute gibt es funktionierende Konzepte, um den Verkehrssektor Schritt für Schritt klimaverantwortlich zu gestalten. Deutschland kann beweisen, dass Klimaschutz im Verkehr möglich ist, sozial gerechte Mobilität für uns alle mit sich bringt und sicherstellt, dass unser Industriestandort den Zugang zu den Märkten von morgen behält.
Den Klimaschutz im Verkehr und auch das Megathema der Verkehrswende erreichen wir nur mit einem Maßnahmenbündel, nicht mit einzelnen Instrumenten. Dabei stehen drei „Game-Changer“ im Mittelpunkt: Die nahtlose Verknüpfung von attraktiven Angeboten des Umweltverbunds (Fußverkehr, Radverkehr und öffentlicher Nahverkehr), die Verlagerung von Verkehr auf eine leistungsstarke Schiene sowie der Umstieg auf die Elektromobilität und, z.B. im Luftverkehr, andere alternative Antriebe.

Dabei ist klar: Alleine mit mehr Fördergeldern werden wir die Pariser Klimaziele nicht erreichen. Eine wirkliche Wende gelingt nur dann, wenn wir klimafreundliche Verkehrsmittel fördern und klimaschädliche Technologien mit einem Preisschild versehen. Unternehmen dürfen wir dabei nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Deswegen setzen unsere Vorschläge bereits da an, wo Mobilitätsangebote geschaffen werden. Nicht zuletzt gilt: Die Verkehrswende ist mehr als eine Antriebswende. Statt lediglich Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren auszutauschen, wollen wir die Alternativen zum Auto stärken und so vielfältige klimafreundliche Mobilität mit weniger Verkehr erreichen.

 

4.1 Attraktiver Umweltverbund

Der klimafreundliche Umweltverbund aus Bahn, Bus und Fahrrad muss attraktiver gestaltet werden, damit noch mehr Menschen ihn nutzen. So kann der Umweltverbund nicht nur seine Potenziale für den Klimaschutz ausspielen, sondern auch dafür sorgen, dass weniger Verkehrsflächen benötigt werden. Dadurch wird Raum für Mensch und Natur zurückgewonnen.

 

Unser Anspruch ist, dass alle Menschen auch ohne Auto mobil sein können und bezahlbar und bequem von A nach B kommen. Deshalb wollen wir eine verlässliche Anbindung mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowohl in der Stadt, als auch im ländlichen Raum. Das gelingt mit einer bundesweiten Mobilitätsgarantie, die allen Menschen den Zugang zu einem regelmäßigen und verlässlichen Nahverkehrsangebot ermöglicht. Bahnen und Busse müssen auch im ländlichen Raum in einem regelmäßigen Mindesttakt fahren und durch flexible Bedienformen (z.B. Rufbus, Anrufsammeltaxi, Bürgerbus, neue Mobilitätsdienste) ergänzt werden. Anschlüsse beim Umstieg müssen gesichert sein. BürgerInnen, die sich darauf verlassen können, mit dem ÖPNV sicher und ohne größere Wartezeiten beim Umstieg zu ihrem Ziel und wieder zurück zu kommen, werden öfter auf Bahn und Bus umsteigen und damit zum Klimaschutz beitragen. Mit einer neuen Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“ wollen wir eine räumliche Grundsicherung finanziell unterstützen. Das neue Bund-Länder-Förderinstrument im Umfang von zunächst einer Milliarde Euro im Jahr ergänzt die beiden bestehenden Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben des Grundgesetzes.

 

Eine gute Infrastruktur ist die Grundlage für die Zuverlässigkeit und Qualität von Bahn und Bus. Dazu wollen wir zwei Milliarden Euro jährlich in den öffentlichen Nahverkehr investieren. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz wollen wir so ändern, dass neben dem Neu- und Ausbau auch Investitionen im Bestandsnetz finanziert werden können. Auch Radwege sowie Digitalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen sollen in das Programm aufgenommen werden.

 

Mit einfachen Tarifen wollen wir den unübersichtlichen und komplizierten Tarifdschungel lichten. Eine absurde Kleinstaaterei von über 130 Tarifgebieten und 66 Verkehrsverbünden in Deutschland schreckt Kunden ab. Fahrkarten zu kaufen muss schlicht einfacher werden. Einsteigen und losfahren, das muss das Motto sein. Unser Ziel ist ein MobilPass, der sämtliche Angebote des öffentlichen Verkehrs wie auch Car- und Bike-Sharing aus einer Hand such-, buch- und bezahlbar macht.

Wir unterstützen mit Bundesmitteln die Beschaffung von abgasfreien Bussen und sorgen dafür, dass sie bei Ausschreibungen zum Zuge kommen. Wir wollen deshalb die Förderprogramme für Elektrobusse deutlich aufstocken und verlängern, um den Umstieg auf saubere Fahrzeuge zu beschleunigen. Um die E-Busse wirklich abgasfrei fahren zu lassen, muss Strom aus erneuerbaren Energien genutzt werden.
Eine rad- und fußverkehrsfreundliche Überarbeitung des Straßenverkehrsrechts und gute Wege machen diese Verkehrsarten attraktiver. Der positive Trend des Radverkehrs in Städten und deren Umland ist nicht zu übersehen. Amsterdam oder Kopenhagen zeigen schon heute, wie sehr Städte von einer konsequenten Förderung des Fahrradverkehrs profitieren. Dies wollen wir auch in deutschen Städten und deren Umland. Außerdem wollen wir die Bundesmittel für den Bau von und digitale Infrastruktur Radschnellwegen sowie für den Bau von Radwegen an Bundesfernstraßen deutlich erhöhen und pro Jahr über 400 Mio. Euro bereitstellen.

 

(E-)Lastenräder sind auf der letzten Meile ein Beitrag zum abgasfreien, leisen und platzsparenden Transport – egal, ob für das Gewerbe oder für Privatpersonen. Daher wollen wir die Nutzung von Lastenrädern unterstützen und dazu ein Bundesprogramm starten, mit dem 250.000 gewerblich wie privat genutzte Lastenräder gefördert werden.
Wir wollen Kommunen zudem die Möglichkeit geben, eigenständig Tempo-30-Straßen und -Zonen auszuweisen. Das bringt weniger Lärm, mehr Sicherheit und fördert den Umweltverbund, was wiederum das Klima schont.

 

4.2 Starker Bahnverkehr

Der Schienenverkehr hat durch den geringen Rollwiderstand und bereits elektrifizierte Strecken unschlagbare Umweltvorteile gegenüber Pkw, Lkw und Flugzeug. Verkehre auf die Schiene zu verlagern ist also ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz. Bei zehnmal so viel Pkw- und viermal so viel Lkw-Verkehr im Vergleich zur Bahn muss sie allerdings viel stärker wachsen als von der Großen Koalition geplant: Doppelt so viele Fahrgäste und 50 Prozent mehr Güter bis 2030 können nur ein Anfang sein. Bessere Angebote locken mehr Fahrgäste an, was noch bessere Angebote ermöglicht. Wir brauchen auch wieder mehr Reserven bei Personal, Fahrzeugen und Strecken, um die Qualität des Schienenverkehrs wiederherzustellen und auszubauen.

 

Wir Grüne wollen das Bahnfahren wieder attraktiver machen: Dazu gehören mehr direkte Verbindungen im Fernverkehr in der Fläche mit dem Deutschlandtakt sowie der Aufbau eines (europäischen) Nachtzugnetzes, das über die Mitnutzung der Hochgeschwindigkeitsstrecken die Überwindung von Distanzen von bis zu 2.000 Kilometer im Nachtsprung zulässt.

 

Damit die Schiene zum Rückgrat der Verkehrswende wird, brauchen wir eine Investitionsoffensive zum Ausbau des Streckennetzes. Die tragende Rolle der Schiene bei der Verkehrswende steht und fällt mit der Schaffung zusätzlicher Kapazitäten für die Verkehrsverlagerung. Investitionen in den Neu- und Ausbau des Netzes müssen massiv angehoben und auf hohem Niveau verstetigt werden. Dazu müssen die Bundesmittel für den Neu- und Ausbau des Schienennetzes auf zunächst 2,5 Milliarden Euro jährlich und bis 2023 auf mindestens drei Milliarden Euro angehoben werden. Damit ländliche Räume mit der Schiene wieder erreichbar sind, wollen wir stillgelegte Strecken reaktivieren. Mit einem Programm zur Streckenreaktivierung sollen bis zum Jahr 2030 mindestens 2.000 Streckenkilometer wieder in Betrieb genommen werden.

 

Eine leistungsfähige Kombination von Bahn und abgasfreien Lkw kann den größten Teil des Warenstroms intelligent bündeln und klimafreundlicher und effizienter verteilen. Dazu brauchen wir zusätzliche Verladestationen und Gleisanschlüsse (z.B. Railports, Terminals des Kombinierten Verkehrs), um den Schienengüterverkehr zu stärken.

 

Der Schienenverkehr eignet sich für das automatisierte Fahren, weil schon heute viele Abläufe automatisch ablaufen. Wir wollen durch gezielte und massive Förderung der Anwendungsforschung zur Automatisierung im Schienengüterverkehr einen Innovationssprung ermöglichen. Mit der weitgehenden Automatisierung von Verladevorgängen, Zugbildung, Rangiervorgängen und der Nahbereichsbedienung können erhebliche Potenziale zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Güterverkehrs auf der klimafreundlichen Schiene gehoben und konkurrenzfähige Angebote gemacht werden.

Auch die Erhöhung des Elektrifizierungsgrades des Streckennetzes kommt nicht zuletzt dem Schienengüterverkehr zu Gute. Erst 60 Prozent des deutschen Schienennetzes sind elektrifiziert. Unser Ziel ist es, mit einem Elektrifizierungsprogramm bis zum Jahr 2030 insgesamt 75 Prozent der Bahnstrecken zu elektrifizieren. Auf den Nebenstrecken fahren heute fast nur Dieseltriebwagen. Doch auch hier setzt der Wandel ein: Die ersten Länder ersetzen Dieselfahrzeuge durch Akku- oder Wasserstofftriebwagen. Daran muss sich auch der Bund als Baustein des Elektrifizierungsprogramms beteiligen, um die Beschaffung der klimafreundlichen Fahrzeuge zu unterstützen.

 

Heute zahlen BahnkundInnen über ihre Tickets Energiesteuer auf Strom und Diesel, während die gewerbliche Luftfahrt von der Steuer auf Kerosin befreit ist. Wir Grüne wollen Kerosin stufenweise besteuern – und zwar sowohl in Deutschland, als auch europaweit. Bis zur europaweiten Einführung wollen wir mit anderen EU-Staaten die Besteuerung bilateral vereinbaren. Bis der Luftverkehr in ganz Europa voll besteuert wird, muss die Luftverkehrsteuer als Ausgleich angehoben und zunächst verdoppelt werden. Die Einnahmen wollen wir für die Förderung und Beschleunigung der Verkehrswende nutzen.

 

Zudem ist im deutschen Steuersystem ungerecht, dass Dienstwagen steuerlich gefördert werden, nicht aber eine Bahncard. Einmal mehr gilt: Wer klimaverantwortlich reist, wird derzeit bestraft, wer klimaschädlich reist, belohnt! Es wird höchste Zeit für eine 0,5-Prozent-Regel auch zur privaten Nutzung dienstlich erworbener Bahncards. Damit könnten alle, die von ihren ArbeitgeberInnen eine Bahncard erhalten haben, unkompliziert die Bahn privat nutzen, indem sie monatlich 0,5 Prozent des Bahncardpreises zum zu versteuernden Einkommen hinzufügen. Wer mit der Bahn ins Ausland fährt, zahlt Umsatzsteuer – wer fliegt, aber nicht. Es wird Zeit, dass auch diese klimaschädliche Schieflage unseres Steuersystems endet. Deshalb müssen grenzüberschreitende Flüge endlich bei der Mehrwertsteuer zur Kasse gebeten werden, während die Steuer auf die Bahntickets im Fernverkehr auf sieben Prozent gesenkt werden sollte.

 

Heute zahlen Züge die Vollkosten der Infrastruktur pro gefahrenem Kilometer. Das ist der falsche Ansatz, denn wenn mehr Züge fahren, entstehen nicht automatisch die immer gleichen Zusatzkosten. Die Schiene hat geringe Grenzkosten, was bedeutet, dass jeder zusätzliche Zug die Gesamtkosten nur geringfügig erhöht. Wir fordern daher das Abrechnen der Schienenmaut nach Grenzkosten.

 

4.3 Bezahlbare alternative Antriebe

Der Straßenverkehr mit seinen vielen Diesel- und Benzinfahrzeugen sorgt für den größten Teil der klimaschädlichen Emissionen im Verkehr. Auch wenn mehr Menschen auf Busse und Bahnen umsteigen und mehr Güter über die Schiene transportiert werden, wird es dennoch Autoverkehr geben. Um die internationalen Klimaschutzverpflichtungen von Paris trotzdem einzuhalten, müssen mehr abgasfreie Fahrzeuge mit alternativen Antrieben genutzt werden. Solche Fahrzeuge werden sich dann durchsetzen, wenn sie nicht nur für das Klima, sondern auch für den Geldbeutel der VerbraucherInnen und Unternehmen zum Gewinn werden. Deswegen ist für uns klar: Wer klimaschonend unterwegs ist, darf am Ende für klimafreundliches Verhalten nicht draufzahlen. Wer aber weiter einen Spritschlucker fahren möchte, muss für seine ökologischen Kosten geradestehen.

 

Nur batterieelektrische Antriebe können derzeit sicherstellen, dass Autos bezahlbar bleiben und rasch zum Klimaschutz beitragen. Denn während Strom in E-Autos direkt genutzt werden kann, muss der Strom für E-Fuels zunächst umgewandelt werden. Dabei geht viel kostbarer Ökostrom
verloren, was auch die Spritpreise steigen lässt. Zudem wird es vor dem Jahr 2030 nach Expertenmeinung keine relevanten Mengen E-Fuels an den Tankstellen geben. Auch Wasserstoff kann für Privatautos nicht die erste Wahl sein, denn für dessen Produktion geht ebenfalls viel Strom verloren. Bei Biokraftstoffen sind die Potenziale ebenfalls begrenzt, wenn Nutzungskonkurrenzen vermieden werden sollen, die nicht nur bei der Verarbeitung von Futtermittelpflanzen, sondern auch bei Rest- und Abfallstoffen auftreten können.

 

Trotzdem ist es richtig, E-Fuels und Wasserstoff genauso wie Biokraftstoffe für die Verkehrswende einzusetzen, da sie in solchen Bereichen für klimafreundlichen Verkehr sorgen können, wo es mittel- oder langfristig keine direkten elektrischen Antriebe geben wird. Das betrifft beispielsweise den schweren Güterverkehr sowie den Seeverkehr. Auch im Luftverkehr werden batterieelektrische Antriebe nur für kleine Maschinen und kurze Distanzen zum Einsatz kommen. Aufgrund der begrenzten Potenziale, Nutzungskonkurrenzen und hohen Kosten dieser strombasierten Kraftstoffe ist es sinnvoll, ihren Einsatz auf solche Bereiche zu beschränken. Wegen der großen Umwandlungsverluste in der Produktion ist es zudem wichtig, dass Wasserstoff da erzeugt wird, wo viel erneuerbarer Strom vorhanden ist – am besten aus dem Ökostrom, der gar nicht ins Stromnetz passt.

 

Mit der Kaufprämie für Elektrofahrzeuge ist es der Bundesregierung bislang nicht gelungen, mehr abgasfreie Fahrzeuge auf die Straße zu bringen. Das ändern wir, indem wir die Prämie durch ein Bonus-Malus-System in der Kfz-Steuer ersetzen. Sie wird also nicht mehr über den allgemeinen Staatshaushalt finanziert, sondern von den KäuferInnen hochmotorisierter Spritschlucker. Wir schlagen vor, nur noch reine E-Autos mit einer Kaufprämie zu fördern. Diese soll im Schnitt verdoppelt werden und gleichzeitig eine soziale Staffelung vorsehen: Preiswertere und kleinere Fahrzeuge erhalten eine höhere Prämie als teure und große Autos.

 

Auch die Dienstwagenbesteuerung müssen wir konsequent auf Klimaschutz und Zukunft ausrichten, damit mehr E-Fahrzeuge und weniger Diesel- und Benzinfahrzeuge zugelassen werden. Bislang müssen NutzerInnen nur einen geringen Teil der Kosten eines Dienstwagens versteuern und tanken meist auf Firmenkosten. Dienstwagen werden aber oft schon nach wenigen Jahren auf dem Gebrauchtwagenmarkt weiterverkauft. Deshalb kommen immer neue klimaschädliche und raumgreifende Autos dazu. Um diesen Trend zu durchbrechen, reicht es nicht, die Steuersätze für E-Dienstautos immer günstiger zu machen – genau das hatte die Koalition beschlossen. Stattdessen müssen wir uns trauen, auf der anderen Seite den Steuersatz für Spritschlucker als Dienstwagen anzuheben, der bislang bei einem Prozent gedeckelt ist. In der Konsequenz heißt das, dass wir die Dienstwagenbesteuerung an den CO2-Ausstoß koppeln. Wir wollen, dass nur komplett abgasfreie Autos den günstigsten Steuersatz zahlen, während alle anderen Fahrzeuge flexibel nach ihrer konkreten Klimabelastung versteuert werden. Unser Ziel ist, dass große Spritschlucker gar keinen Steuervorteil mehr erhalten.

Nicht nur bei den Anreizen für neue Autos, sondern auch bei den Steuern auf Kraftstoffe muss die Bundesregierung endlich klimapolitische Orientierung bieten. In den letzten zehn Jahren wurde Diesel durch den deutlich niedrigeren Steuersatz mit insgesamt 76,5 Milliarden Euro subventioniert. Für die Förderung von abgasfreien Technologien gab die Bundesregierung im selben Zeitraum nur 5,2 Milliarden Euro aus. Wer alte, schmutzige Technologien mit so viel Steuergeld fördert, muss sich nicht wundern, wenn VerbraucherInnen zögern, auf emissionsfreie Autos umzusteigen und SpediteurInnen sich von der Schiene abwenden. Abgasfreie Mobilität wird sich nur durchsetzen, wenn Diesel nicht länger durch einen künstlich niedrigen Preis bevorzugt wird. Für uns steht deshalb fest: Die Dieselsubventionen müssen schrittweise abgebaut
und ein CO2-Preis eingeführt werden. Mit diesem Aufschlag auf Benzin und Diesel wollen wir die Kosten der Klimaschäden abbilden, die das Verbrennen von fossilen Kraftstoffen erzeugt. Die Mehreinnahmen dieses Aufschlags wollen wir vollumfänglich nutzen, um sie durch eine Absenkung der Stromsteuer, kombiniert mit einer jährlichen Auszahlung eines Energiegelds an alle BürgerInnen wieder zurückzugeben. Spritsparer können dann unter dem Strich ein Plus machen. Wer aber weiterhin oft und weit fahren möchte, würde künftig stärker an seinen Umweltkosten beteiligt.

 

Um den Kauf von Nutzfahrzeugen mit alternativen Antrieben anzukurbeln, wollen wir die derzeitigen Förderprogramme der Bundesregierung deutlich ausweiten. Mit ihren bislang spärlichen Zuschüssen von zehn Mio. Euro pro Jahr für den Kauf von Lkw mit alternativen Antrieben wird die Bundesregierung keinen Markthochlauf antreiben können, zumal die Nachfrage deutlich stärker ist als von ihr erwartet wurde. Wir wollen die Fördermittel deutlich aufstocken und über das Jahr 2020 hinaus verlängern, um Investitions- und Planungssicherheit bei den Unternehmen zu ermöglichen.
Auch die vom Bundeskabinett beschlossene Sonderabschreibung für gewerbliche E-Lieferfahrzeuge ist ein lediglich dürftiger Versuch zur Förderung der klimafreundlichen Elektromobilität. Damit der Vorschlag nicht hinter den Koalitionsvertrag zurückfällt, in dem keine Beschränkung auf Lieferfahrzeuge vorgesehen war, wollen wir die Sonderabschreibung auf alle gewerblichen Elektrofahrzeuge ausdehnen.
Auch bei Nutzfahrzeugen gilt: Wer die Umwelt stärker belastet, muss auch stärker zur Kasse gebeten werden. Weil die Bundesregierung den Güterverkehr auf der Straße hingegen subventioniert, muss sie sich nicht wundern, dass keine Verlagerung auf die Schiene gelingt und die Lkw-Kolonnen weiter wachsen. Deswegen wollen wir die Lkw-Maut nicht nur so anpassen, dass die Kosten für Luftverschmutzung und Lärmbelastung in die Maut aufgenommen werden, sondern auch eine CO2-basierte Lkw-Maut einführen. Damit wird die Maut für solche Lkw erhöht, die das Klima stark belasten. Im Gegenzug profitieren abgasarme und abgasfreie Lkw von deutlich günstigeren Mautsätzen. Klar ist aber auch: Immer mehr kleinere Lkw kommen für ihre ökologischen Schäden bislang gar nicht über die Lkw-Maut auf. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir auch die Mautlücke für Lkw zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen schließen.

Eine deutlich unterschätzte Maßnahme für den Klimaschutz ist ein allgemeines Tempolimit auf den Autobahnen. Es ist nicht nur nahezu kostenlos, sondern wirkt auch sofort.

 

Auch die Sicherheit auf den Straßen würde sich erheblich verbessern: Mit einem Tempolimit können die Menschen vor einer rücksichtslosen Minderheit geschützt werden, die mit Bleifuß über die Autobahn rast. Niedrigere Geschwindigkeiten sorgen für weniger Unfälle – und damit für weniger Verletzte und Tote im Straßenverkehr. Zudem sorgt ein Tempolimit für einen besseren Verkehrsfluss und reduziert die Anzahl und Länge von Staus. Das spart Reisezeit, Energie und Emissionen – und es schont die Nerven. Kein Wunder, dass die Zahl der UnterstützerInnen wächst. Dass Kirchen, Umweltverbände und die Gewerkschaft der Polizei mit einer Stimme sprechen, zeigt, dass die Debatte über ein Tempolimit nicht mehr ideologisch geführt werden darf.

 

Die kommenden Jahre sind wegweisend für den Klimaschutz und die Mobilität von morgen. Wenn wir unsere Mobilitätsvisionen für 2030 erreichen wollen, müssen jetzt die entscheidenden Transformationsimpulse kommen. Noch liegt die weitreichende Gestaltungschance in unserer Hand. Die Zeit ist reif für eine neue, durchdachte und nachhaltige Verkehrswende. Packen wir es an!